Grooming-Verschwörungstheorie & Religious Right

Autorin: Nora Sillan

Menschen, die sich als trans identifizieren, sind neben tagtäglichen Repressionen und gesamtgesellschaftlicher Diskriminierung auch Verschwörungstheorien ausgesetzt – wie der von „LGBT-Grooming“. Um zu beleuchten, wie sich die Verschwörung vom „trans Groomer“ dermaßen etablieren konnte, sodass sie eine regelrechte Moralpanik schürt, werden zunächst die Voraussetzungen analysiert, auf deren Boden diese abstruse Vorstellung entstanden ist.

trans als Feindbild christlicher Fundamentalisten

Aktuelle Anfeindungen und Moralpanikphänomene gegen trans Personen können nicht unabhängig vom Einfluss der religiösen Rechten (Religious Right) in den USA betrachtet werden. Unter dem Dachbegriff des christlichen Fundamentalismus lassen sich unterschiedliche Strömungen zusammenfassen, die auf Basis der Bibel als absoluter Wahrheit agieren – im privaten und öffentlichen Leben. Der Kampf gegen angeblichen „Sittenverfall“ und der „Schutz moralischer Werte“ stehen im Zentrum des kontinuierlichen Aufstiegs der Religiösen Rechte ab den 1970er Jahren, die gezielt nach gesellschaftlicher und politischer Macht streben.

In den sogenannten „Culture Wars“ verteidigten christlich-fundamentalistische und evangelikale Gruppierungen traditionelle Familienwerte und wandten sich zunächst u.a. gegen Schwule und Lesben, indem sie diesen ein unmoralisches Verhalten unterstellten. Da Homosexualität mit den Jahren zunehmend gesellschaftlich anerkannt wurde, suchte sich die christlich-konservative Bewegung in den letzten Jahren ein neues „Feindbild“ und fand dieses in den Menschen, die der (in ihren Augen) „gottgegebenen“ Geschlechterdichotomie entgegenstehen: trans Personen.

Annika Brockschmidt äußert sich folgendermaßen dazu:

Transsexualität ist in der Gesellschaft deutlich unbekannter und noch immer tabuisiert. Dieses Unwissen nutzen Religiöse Rechte. Ihre diskriminierende Agenda verpacken sie in eine harmlos klingende Sprache, die eine toxische Botschaft vermittelt: Es gehe nur darum, die Kinder vor sexuellen Übergriffen zu schützen.

Quelle: Um Gottes willen!

Diese toxischen Inhalte werden gezielt in Propaganda verpackt und in den gesellschaftlichen Mainstream transportiert – und das in millionenschweren Diffamierungskampagnen:

Von christlicher „Kümmer-Mentalität“ zum Einfallstor für Rechts

Anhänger der Religious Right begründen viele ihrer Positionen mit der Sorge um traditionelle Werte und schüren gezielt irrationale Ängste (Stichwort: Zugang zu Frauenräumen oder Toilettenbenutzung von trans Personen). Mit dieser „Kümmer-Mentalität“ sorgt man sich jedoch nur zum Schein um das Wohlergehen von Einzelpersonen, sondern vielmehr um die Aufrechterhaltung eines streng heteronormatives Familienbilds – und natürlich um den eigenen politischen Einfluss.

Die Politikwissenschaftlerin Kyra Schmied warnt in diesem Zusammenhang vor der Instrumentalisierung von Sorge und der Überschneidungen mit rechtem Gedankengut:

Sorge geht mit Rollenzuschreibungen, dem Verweis auf eine göttliche Ordnung sowie Schuldzuweisungen bei Nichteinhaltung einher. Des Weiteren hat die Rede von Sorge aber auch einen strategischen Nutzen, in dem Nationalismus und patriarchale Vorstellungen von Familie den christlichen Fundamentalismus stützen sollen. Die Nähe zwischen Rechtsextremismus und christlichem Fundamentalismus ist dementsprechend nicht nur personell, sondern auch inhaltlich. In Bezug auf das Framing von Sorge zeigt sich das in seiner Einbettung in eine heteronormative und nationalistische Ideologie. Auch das Feindbild einer vermeintlichen internationalen feministischen Lobby, einer Elite, von der es sich abzugrenzen beziehungsweise die es zu bekämpfen gilt, ist ein verbindendes Moment.“

Quelle: Gegen Frauen und Moderne: Die christlich-fundamentalistische Sorge

Genau als jenes Brücken-Narrativ zu rechtem Gedankengut dient u.a. die Verschwörung von trans Personen als „Groomer“. Mit dem Vorwand, sich um das Wohlergehen von Kindern zu sorgen, wird damit transidenten Menschen unterstellt, pädophil zu sein und in gezielten „Kampagnen“ und Sexualaufklärung Pädophilie normalisieren zu wollen. Diese hetzerischen und grundlosen Anschuldigen erfüllen alle Charakteristika einer moralischen Panik (siehe hierzu auch unseren Artikel über die Grundmuster der moral panic).

Das Wort „Groomer“ als Kurzbezeichnung dieser Verschwörung geht auf die Bezeichnung „grooming children“ zurück, was sich als gezielter Vertrauensaufbau zum Zwecke von Manipulation, Ausnutzung und Missbrauch von Kindern übersetzen lässt. Ursprünglich bezeichnet dieser Begriff, der seit den 1980ern von Missbrauchsüberlebenden verwendet wird, kriminelles Verhalten gegenüber Kindern, hat jedoch nichts mit LGBTIQ* zu tun.

Wie fand der Begriff „Grooming“ Eingang in die Verschwörungstheorie?

Obwohl die Wissenschaft in zahlreichen Studien das Gegenteil belegt, gehen Anhänger dieser Verschwörungstheorie von einer Korrelation zwischen Homosexualität bzw. Transsexualität und Kindesmissbrauch aus.

Dieses diffamierende Narrativ wurde 1977 von der überzeugt christlichen Sängerin und Misswahl-Teilnehmerin Anita Bryant ins Leben gerufen, die mit ihrer Organisation „Save our children“ („Rettet unsere Kinder“) eine Antidiskriminierungsverordnung des Bundesstaats Florida über die Anstellung von homosexuellen Lehrern an christlichen Schulen zu Fall gebracht hatte. Diese religiös-fundamentalistisch geprägte Initiative gilt als einer der ersten organisierten Proteste gegen das damalige Gay Rights Movement und Bryants Name wurde in Folge zum Synonym für Bigotterie und Homophobie. Denn Anita Bryants Aussage war, dass „Homosexuelle sich nicht fortpflanzen können und deshalb die Jugend von Amerika rekrutieren müssten“.

In den vergangenen Jahren wurde dieser Slogan 1:1 auf trans Personen gemünzt und auf Basis dessen im Jahr 2020 die umgangssprachliche Redewendung bzw. Meme „Ok boomer“ als transphobes „Wortspiel“ zu „Ok groomer“ abgewandelt. Seitdem wird diese Veschwörungstheorie u.a. von transfeindlichen Plattformen wie Libs of Tik Tok von dessen Gründerin Chaya Raichik geschürt: „(…)They want to groom kids. They’re recruiting.“ – was in Bomben- und Todesdrohungen gegen medizinisches Personal von Kliniken mündete, die trans Kinder und Jugendliche unterstützen.

Zudem werden unter diesem Vorwand auch Lesungen attackiert, wo im Rahmen von „Drag Queen Story Hours“, Kindern aus altersgerechten Büchern über Gender-Diversity vorgelesen wird. Derartige Proteste haben auch Deutschland und Österreich erreicht. Damit geht diese Moralpanik mittlerweile in ihren Auswirkungen weit über das Schüren von Online-Hass hinaus.

Julia Serano, die auf ihrer Webseite einen Überblick über dieser Verschwörungstheorie gibt, fasst die Problematik des Feindbildes der Grooming-Moralpanik zusammen:

Diejenigen, die wahllos Anschuldigungen wie „Sexualstraftäter“, „Grooming“ und „Sexualisierung“ gegen geschlechtliche und sexuelle Minderheiten erheben, sind nicht nur bigott, sondern erweisen den tatsächlichen Überlebenden sexueller Gewalt einen wahrlichen Bärendienst.“

Quelle: Transgender, Toiletten und sexuelle Raubtiere: Was die Daten sagen (übersetzt ins Deutsche)

Der christlichen Fundamentalismus bietet also neben der Satanic Panic einer weiteren Verschwörung einen idealen Nährboden – eine Entwicklung, die in ihrer Gefährlichkeit kaum zu unterschätzen ist.

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